Von der Historie bis zur Taufe des Nachbaus
Weserkähne – entscheidender Teil der Lieferkette des Bremischen Warenverkehrs
Im Mittelalter segelten Koggen mit zwei Metern Tiefgang bis an die Schlachte, dem damaligen Hafen in der Bremer Innenstadt. Bedingt durch die Flößerei auf der Oberweser versandete im Laufe der Zeit die Weser zunehmend. Der Hafen für Seeschiffe mit entsprechenden zunehmenden Tiefgängen wurde deshalb immer weiter weserabwärts verlagert.
So wurde 1619 – 1622 der Vegesacker Hafen als Schutz- und Winterhafen gebaut. Im Jahr 1827 erfolgte die Gründung der Stadt Bremerhaven als Seehafen am Meer. 1830 wurde das erste Hafenbecken in Betrieb genommen. Einfache Kähne mit einem platten Boden, sogenannte Weserkähne, übernahmen daraufhin den Transport von Gütern, aber auch Auswanderern zwischen Bremen und der Seestadt Bremerhaven.
Auch Auswanderer nutzten die Weserkähne
Mitte des 19. Jh. dienten die einfachen Kähne auch als „Zubringer“ von Bremen zu den Seeschiffen, die die Auswanderer von Bremerhaven aus in die ’neue Welt‘ brachten. Im Jahr 1837 schrieb etwa der Schriftsteller Friedrich Gerstäcker an seine Mutter:
„Den 13th endlich Mittags 3 Uhr ging ich an Bord eines Weserkahns, und von da an habe ich keine Nacht mehr an Land zugebracht! Von hier an geht auch eine andere Periode meines Lebens an! Sollte ich Dir den Spectakel und die Verwirrung schildern, meine liebe Mutter, die auf diesem kleinen Fahrzeug herrscht, Du würdest erstaunen! Denke Dir einige 60 Menschen auf einem kleinen, kaum 25 Schritt langen Fahrzeug, die nun zusammengepackt mit Passagiergut dem Bremerhafen zu fahren sollten! …“
Der Schiffstyp Weserkahn
Weserkähne waren sehr einfach gebaute Kähne mit wenig Tiefgang, geeignet für die zunehmend flacher werdende Unterweser. Die Kähne waren mehr Binnenschiffe als Seeschiffe. Der Laderaum mit seiner zeltartigen, schindelförmigen Lukenabdeckung reichte über die ganze Breite des Kahns, damit die Ladung nicht erst unter Deck verstaut werden mussten wie bei Seeschiffen. Diese Binnenschiffsluke war ein Alleinstellungsmerkmal der Weserkähne. Gesteuert wurden die Kähne mit einer langen Pinne. Die Takelage war einfach gehalten mit Gaffelrigg und einem Klüverbaum, bei größeren Kähnen einem zusätzlichen Besan. Die Masten konnten nicht gelegt werden, da es damals noch keine Brücken über die Weser gab. Wegen des geringen Tiefgangs und dem platten Schiffsboden sorgten Seitenschwerter für weniger Abdrift bei seitlich einfallenden Winden.
Die Weserkorrektion durch „Ludwig Franzius“
Die größer werdenden Seeschiffe konnten bald wegen ihres Tiefgangs den Hafen von Bremen in der Innenstadt an der Schlachte nicht mehr anlaufen. 1881 legte der neue Oberbaudirektor und Wasserbauingenieur Ludwig Franzius einen Plan vor, die Weser auf fünf Meter Wassertiefe ausbaggern zu lassen. Bereits 1885 begannen in Bremen die Arbeiten am Freihafen, dem heutigen Europahafen, der 1888 eingeweiht wurde. Die Baggerarbeiten an der Weser begannen 1887. Die sogenannte Weserkorrektion wurde 1895 abgeschlossen – von da an konnten wieder Seeschiffe die neuen Häfen in Bremen anlaufen. Bis heute muss die Weser aber immer wieder ausgebaggert werden, um die sichere Zufahrt zu den Stadtbremischen Häfen sowie Bremerhaven zu gewährleisten.
Nach Abschluss der Weserkorrektion bedienten Weserkähne noch eine Zeitlang die kleinen Häfen an der Unterweser. Aber der bremische Handel hatte die Weserkähne, die lange Zeit das Bild der Unterweser geprägt haben, nicht mehr nötig, denn mit der Weservertiefung entfielen die wirtschaftlichen Gründe für den Betrieb dieses regionalen Schiffstyps.
Minna – das role model für den Nachbau des Weserkahns
Nach und nach verschwanden die Weserkähne von der Weser. 1894 lief der letzte Weserkahn auf einer kleinen Werft in Fünfhausen an der Unterweser vom Stapel. Sein Ende ist unklar. Der letzte bekannte Weserkahn mit dem Namen „Elly“ wurde in 1974 in Frederiksund / Dänemark abgewrackt. Er war 1893 in Kirchhammelwarden an der Weser auf der Werft C. Lühring gebaut und auf den Namen „Minna“ getauft worden (Quelle Piekfall – Mitteilungsblatt für Freunde des Gaffelriggs Nr. 47 / 1992, Bericht Herbert Kating und Joachim Kaiser). Vor dem Abwracken konnten noch die Aufmaße von „Minna“ erfasst werden. Anders als bei den Ewern der Elbe, die frühzeitig aus Stahl gebaut wurden und von denen einige noch heute erhalten sind, sind die hölzernen Weserkähne „ausgestorben“.
Alle Weserkähne? Nein, es gibt noch ein Exemplar, an dem sich die Geschichte dieses für Bremen so entscheidenden Schiffstyps zeigen lässt – die Franzius, ein Nachbau durch die BBV – Bremer Bootsbau Vegesack gGmbH!
Der letzte seiner Art – der Nachbau des Weserkahns
Die Arbeitsgemeinschaft „AG Weserkahn“
1984 wurde der noch heute existierende Verein JugendKutterWerk e.V. (JKW) mit dem Ziel gegründet, arbeitslosen Menschen Qualifizierung und Ausbildung rund um das Handwerk des Bootsbaus zu bieten. Der Einsatz der fertiggestellten Schiffe sollte zur maritimen Kultur der Hansestadt Bremen beitragen. Der damalige 1.Vorsitzende des JKW, Olaf Emig, hatte die Idee, den Nachbau eines Weserkahns für Bremen und die Region umzusetzten. 1989 traf Olaf zwei Initiatoren des gerade neu gegründeten Projekts „Stadt Land Fluss – Bildungs- und Freizeitreisen“. Aus dem Verein JugendKutterWerk und dem Reiseprojekt „Stadt Land Fluss“ entstand die Arbeitsgemeinschaft „AG Weserkahn“, die ein Konzept für den Nachbau eines Weserkahns erarbeitete. Der Bau, die Nutzung und der Betrieb des neuen Weserkahns sollte den Kriterien des „ökologieorientierten Bootsbaus und des “sanften Tourismus“ folgen. „Stadt Land Fluss“ konnte sich vorstellen, nach der Fertigstellung des Nachbaus den neuen Weserkahn zu betreiben. Hier die erste Nachricht vom 20.02.1991 im Weserkurier mit dem Titel „Der alte Weserkahn soll wieder schwimmen“ von Carsten Elmers.
Mit moderner Technik nach historischem Vorbild
Im Frühjahr 1991 forschte das Team der „AG Weserkahn“ zur Historie der Weserkähne im Staatsarchiv Bremen und in regionalen Museen.
Es wurden einige Zeichnungen und Fotografien von Weserkähnen im Bereich der Unterweser bis zur Bremer Schlachte gefunden. Eine Fotografie aus dem Jahr 1908 diente als Vorbild für den Nachbau. Dieser Weserkahn liegt an einem Liegeplatz gegenüber der Schlachte in Bremen. Auf dem Vorschiff steht ein Seemann. So konnte ungefähr die Größe dieses Kahns abgeschätzt werden. Dieses Bild diente als Vorlage für den Nachbau.
Verbindung von Tradition & moderner Technik
Der Leitgedanke der „AG Weserkahn“ war, dass ein Nachbau die traditionellen Linien der Weserkähne jener Zeit mit modernen Bootsbautechniken verwirklicht wird. Der Bau des Kahns sollte zentraler Ausbildungsgegenstand einer Bootsbaulehre werden. Deshalb sollte der Rumpf in formverleimter Bauweise entstehen mit vier Lagen Lärche: längs, doppeldiagonal, längs.
Aus zeitgemäßen ökologischen Gründen sollte im normalen Fahrbetrieb der Wind als Hauptantrieb genutzt werden. Insbesondere beim „Am Wind segeln“ wurden deshalb die historisch vorhandenen Seitenschwerter durch etwas Profil optimiert. Entsprechend der Größe unseres neuen Weserkahns wurde er mit Großmast und Besanmast geplant. Segel und Rigg entsprechen den historischen Vorbildern. Der Klüverbaum kann getoppt werden. Das spart Platz im Hafen.
Der Bau des neuen Weserkahns als Qualifizierungsprojekt
Als Qualifizierungsprojekt erdacht, verbindet die Entstehungsgeschichte des neuen Weserkahns die Faszination für den modernen Holzbootsbau mit der Idee der Wiederbelebung des maritimen Erbes Bremens. Nach akribischer Archiv- und Recherchearbeit von Enthusiasten entsteht der Konstruktionsentwurf eines Weserkahns. Die BBV – Bremer Bootsbau Vegesack gGmbH, ein Beschäftigungsträger, übernimmt die Verwirklichung dieser Idee, allerdings mit einem modernen Nutzungskonzept: Die „Ladung“ von heute sind Menschen auf der Suche nach einem besonderen Erlebnis. Der neue Weserkahn soll als Konferenz-, Ausstellungs- oder Fahrtenschiff mit Bildungsauftrag dienen.
Nachhaltigkeit – Leitbild vom Bau bis heute
Der neue Weserkahn ist mehrerer Hinsicht außergewöhnlich: Das Schiff wurde zwar nach historischem Vorbild, aber in moderner formverleimter Bauweise mit heimischen Hölzern gebaut. Nur der Kiel, das Kielschwein und die Bodenwrangen sind aus tropischem Kambala-Holz gefertigt.
Die Erfahrungen bei der Formverleimung des Rumpfes erregte auch überregionales Interesse, beispielsweise bei der Klassifikationsgesellschaft Bureau Veritas, die den Bau begleitet. Bei seinem Bau wurden, finanziert aus europäischen, Bundes- und Landesmitteln, in zwei Umschulungslehrgängen rund 40 junge Menschen zu Bootsbauerinnen und Bootsbauern ausgebildet. Heute dient das Schiff der kulturellen und ökologischen Bildung von Menschen und wirbt mit seinen Törns für den Erhalt der Einzigartigkeit des Lebensraums Wattenmeer. Damit ist der neue Weserkahn Teil der historisch-maritimen Tradition der Region Bremen und zugleich Botschafterin für die bremische Kulturgeschichte.